Zur sokratischen Philosophie

 

Replik zu einigen Sätzen aus dem Epilog von „Die Vorsokratiker“

von Wolfgang H. Pleger, Sammlung J.B.Metzler Seite 168

 

 

Wolfgang H. Pleger: „Abgesehen von dem singulären Gebrauch des Wortes »philosophisch« bei Heraklit taucht der Begriff bei den Vorso-kratikern nicht auf.

 

Ist auch nicht nötig. Daß der Begriff „Philosophie“ nicht aufge-taucht, ist für sich allein kein Beleg dafür, daß keine Philosophie stattgefunden hat. Es genügt, daß sich jemand oder mehrere Men-schen gegenüber der Wahrheit und der Weisheit öffnen: Im selben Augenblick findet Philosophie statt – ob und wie diese Situation von wem auch immer benannt wird, ist irrelevant.

 

Kein Vorsokratiker hat sich selbst als Philosoph bezeichnet.

 

Sich selbst oder sonst jemanden als „Philosoph“ zu bezeichnen ist deshalb unsinnig, weil niemand durchgehend philosophisch tätig ist, und ebenso wenig beruflich acht Stunden lang... „philosophisch praktizieren“ kann.

 

Diese Selbstbezeichnung ist dann angebracht, wenn jemand damit im Unterschied anzeigen will, daß ihm die Liebe zur Weisheit bedeutend ist.

 

Da aber Sokrates seine Suche nach Wissen in einem spezifischen Sinne Philosophie nannte, ist es gerechtfertigt, in ihm den Begründer der atti-schen Philosophie zu sehen.

 

Es ist gerechtfertigt, daß Sie persönlich alles „gerechtfertigt“ nen-nen können und dürfen, was Sie als gerechtfertigt ansehen, aber...

  1. Die Philosophie ist keine „Suche nach Wissen“.
  2. Sokrates ist kein Begründer von irgendetwas. Er war (den Überlieferungen nach) philosophisch tätig - das ist alles. Er ist uns bekannt, weil ihn mehrere Leute jener Zeit und jener Gegend... beim Namen nannten.
  3. Philosophie geschieht im jeweiligen Augenblick.
  4. Philosophie hat keine Geschichte.
  5. Es gibt so wenig eine „attische Philosophie“, wie es selbst-verständlich keine „attische Liebe“ geben kann.
  6. Die Philosophie kennt kein Adjektiv.

 

Anders als bei Heraklit, bei dem die »philosophischen Männer« jene meinen, die auf Weisheit aus sind,

 

1a: Das ist die  f a s t  korrekte Beschreibung von „Philosophie“.

 

1b: Aber sie, die »philosophischen Männer« sind nicht wirklich „auf Weisheit aus“, denn diese geschieht beim philosophieren en pas-sant. Man kann ja auch nicht „auf Liebe aus“ sein: Sie geschieht, wenn wir bereit sind... wie beiläufig. Man kann zwar auf Sex aus sein, auch auf Beziehung und auf Zuwendung, aber nicht auf Liebe.

 

2. Außer, daß durch Sokrates die sog. „Hebammen-Technik“ be-kannt wurde, lief bei Sokrates in Sachen Philosophie nichts anders als bei Heraklit: Beide öffneten sich... der Weisheit.

 

hat der Begriff Philosophie bei Sokrates einen skeptischen, einschrän-kenden Sinn.

 

Ganz im Gegenteil: Der Begriff Philosophie kann gar keinen grö-ßeren Raum öffnen, als er es in seinen Wortsinn tut. – Er ist größer als unser Denken.

 

Und was an dieser Stelle „skeptisch“ zu bedeuten hat, erschließt sich mir nicht. Ihnen wohl auch nicht, sonst hätten Sie sich dazu ver-mutlich näher geäußert.

 

Weise ist allein der Gott, wie Sokrates in der »Apologie« (23 a/b) dar-legt, der Mensch kann allenfalls nach Weisheit streben.

 

1. Ja.

 

2. „Streben“ trifft es nicht ganz, weil Weisheit nichts mit Wollen, nichts mit Ehrgeiz und dergleichen zu tun hat, sondern mehr mit einer Öffnung, mit einer Bereitschaft für die Ebene der Weisheit.

 

Denn ja, die Weisheit hat nichts direkt mit uns zu tun, mit „unse-rem Denken“. Weisheit ist kein Produkt unseres Handelns oder Wollens.

 

Weisheit ist nicht „unser Werk“.

 

Sokrates variiert damit die bekannte Unterscheidung göttlichen und menschlichen Wissens, um den von ihm eingeführten Sinn des Wortes Philosophie erläutern zu können.

 

Das Streben nach Wissen kennzeichnet die menschliche Situation, die zwischen dem völligen Nichtwissen und dem vollendeten Wissen anzu-setzen ist.

 

Es gibt kein „vollendetes Wissen“. Wissen als Wert

ist immer relativ und immer... im Bezug zu sehen.

 

Wissen hat keinen Wert an sich.

 

Es genügt immer genau die Menge an Wissen, die von irgend je-mandem in einem bestimmten Moment an einem bestimmten Ort gebraucht wird. Alles „mehr“ an Wissen ist bloß Belastung.

 

Es ist kein Zufall, daß wir immer mehr „Daten“

vergessen, als behalten: Es ist lebensnotwendig.

 

Im »Symposion« hat Sokrates dieses Streben als ein erotisches beschrie-ben.

 

Ausgehend vom Begriff Philosophie lassen sich nun Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Sokrates und den Sophisten aufweisen.

 

Außer, daß es sich um Menschen handelt und beide eine Sprache als Verständigungsmittel benutzen, gibt es keine Gemeinsamkeit zwischen der Philosophie eines Sokrates und dem sophistischen Denken.

Der Sokrates öffnet sich der Weisheit, während sich der Sophist bereits mit Kleinheit und Enge eines logischen Konstrukts – plus ein paar Wortgirlanden – zufrieden gibt.

Unterhalb der
Liebe zur Weisheit
gibt es keine Philosophie!

 

Der skeptische Zug, der dem Begriff Philosophie zukommt, verbindet das sokratische Denken mit dem seiner Vorgänger, vor allem dem der Sophisten.

 

Was denn, bitte, soll an dieser Stelle ein "skeptischer Zug" sein?

 

Und eine Verbindung mit anderen Philosophen gibt es nicht, erst recht nicht zu den Sophisten (aller Zeiten).

 

Der Mensch kann intellektuell alles (Un-)Mögliche konstruieren, auch irgendwelche Verbindungen. Das bedeutet jedoch nicht, daß sie auch existieren.

 

Wenn Sie sich heute in Liebe der Weisheit öffnen, sind Sie in die-sem "Raum" mit keinem Menschen "verbunden", auch nicht mit Sokrates. Sie sind ganz allein... in Liebe, wahrhaftig in der Weisheit.

 

Intellektuelle Aktivitäten sind NICHT Philosophie!

 

Sokrates' Aussage, »Ich weiß, daß ich nichts weiß«, ist Ausdruck dieser Haltung.

 

Die Aussage »Ich weiß, daß ich nichts weiß« ist nicht Ausdruck ei-ner Haltung, sondern die Folge von Erkenntnis. Klare Einsicht ist keine Frage von „Schule“, sondern eine der Geistigen Reife.

 

  1. Diese Erkenntnis ist auf keine einzelne oder bevorzugte Per-son wie z.B. Sokrates beschränkt; sie widerfährt jedem, der sich dieser Ebene öffnet.
  2. Erkenntnis ist keine Sache (oder direkte Folge) des Den-kens.
  3. Es gibt hier keine „Verbindung des Denkens“. Diese Idee ist eine akademische Konstruktion, die auf Unwissen in Bezug auf Weisheit beruht.
  4. Nein, dem Begriff Philosophie (Liebe zur Weisheit) kommt auch kein „skeptischer Zug“ zu.

 

Wie Gorgias verzichtet Sokrates darauf, Lehrinhalte zu vermitteln,

 

Gewöhnliche (Schul-)Lehrer vermitteln etwas, z.B. „Lehr-Inhalte“, aber während des Philosophierens wird nichts vermittelt. Auch So-krates vermittelt nichts. Ganz im Gegenteil: Er nimmt den Leuten noch das, was ihnen als vermeintliches „Wissen“ vermittelt wurde.

 

Daß während des Philosophierens gelegentlich Einsichten passie-ren und Erkenntnisse eintreten oder gewonnen werden, läßt sich allerdings nicht verhindern. Das sind aber keine „Inhalte“!

 

ohne jedoch wie jener einen ontologischen Nihilismus zu vertreten.

 

In einer Philosophie, die ihren Namen verdient, wird auch nichts „vertreten“! Weder eine Ansicht, noch eine Meinung und auch kein Standpunkt. Nichtmal eine These.

 

Die Philosophie bedarf weder eines Standpunkts, noch irgend einer Struktur, noch sonst... einer Stütze.

 

Tools in der Wissenschaft von Nutzen

werden in der Philosophie nicht gebraucht.

 

Die Orientierung auf Wissen wird bei ihm nicht aufgegeben.

 

Deswegen muß an dieser Stelle dringend der Begriff „Wissen“ diffe-renziert werden:

 

A - Es gibt ein Wissen, das für uns selbstverständlich ist, das aber nichts mit Informationswissen zu tun hat und das wir nicht kom-munizieren können.

 

B - Daneben gibt es das Wissen, das aus den öffentlich bekannten Ergebnissen der Wissenschaft und/oder aus sonstigen Informatio-nen aller Art besteht.

 

(Grundsätzlich sind weitere Definitionen erforderlich. An dieser Stelle aber noch nicht.)

 Die Philosophie eines Sokrates ist an üblichem Wissen nicht inter-essiert. Sie durchleuchtet die Dinge auf ihre wirkliche Substanz.

 

Indem er auf ein Wissen ausgerichtet ist, ohne es je besitzen zu können, ist sein Leben einer Spannung ausgesetzt,

 

Wo, bitte, soll denn hier eine "Spannung" sein?

 

Ja, das können wir nicht verstehen, wenn wir Wissen üblicherweise als wertvoll, also ansammlungswürdig – ihren Bestand zudem als Reputation und das Ansammeln selbst als anstrengend – ansehen.

 

Aber diese Art „Wissen“ ist kein Informationswissen. – Es ist eher ein erkennen, denn ein wissen.

 

Hier gibt es keine Spannung, keine Anstrengung.

Es ist vielmehr ein Entspannen, ein... Loslassen.

 

Man kann es mit der Wahrhaftigkeit vergleichen: Ein Lügenkon-strukt nachvollziehbar aufrecht zu erhalten, ist anstrengend. Doch einfach nur die Wahrheit zu sagen ist dagegen... eine entspannte Angelegenheit.

 

die alle, die sich mit ihm auf ein Gespräch einließen, spürten und die sie als das Spezifische seiner Person, aber auch der Sache, die er vertrat, der Philosophie, empfanden.

 

Woher wollen Sie wissen, was diese Menschen (Schüler) spürten? Vielleicht ist es Ihre Projektion, daß Sie glauben zu wissen, wie Sie sich in der spezifischen Situation gefühlt haben würden?

 

Solange sie keine Meinung vertreten und verteidigen müssen, sind die philosophisch beteiligten Menschen tiefenentspannt. Das kön-nen Sie zu jeder Zeit auch für sich selber in Erfahrung bringen.

 

Es entspricht wohl dieser philosophischen Skepsis, daß Sokrates darauf verzichtete, Ergebnisse seines Philosophierens aufzuschreiben.

 

Es entspringt keiner Skepsis, sondern es hat keinen Wert, derartige „Ergebnisse“ aufzuschreiben. Wozu?

 

Üblicherweise wird aufgeschrieben, was als wertvoll erachtet wird. Doch der Wert des Philosophierens verflüchtigt sich sofort wieder. Das ist nicht weiter bedauerlich, da die Weisheit 27/4, also unun-terbrochen und für Jedermann verfügbar ist.

 

Philosophie in diesem Sinne ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit, und diese existierte für ihn nur im aktuellen Vollzug.

 

Korrekt. Das ist exakt die richtige Beschreibung der Philosophie. Aber nicht einer speziellen (sokratischen), sondern DER Philoso-phie schlechthin.

 

Und diese existierte nicht nur "für ihn" (Sokrates) "im aktuellen Vollzug". Sie geschieht auch heute jedem, der philosophierend "tä-tig" ist, oder mit Ihren Worten... sich philosophisch "im aktuellen Vollzug" befindet.

 

Drittens ist hier - genau genommen - nur die Vorbereitung auf die Philosophie eine "Tätigkeit", nicht die Philsophie selbst.

 

Die im »Phaidros« formulierte Schriftkritik darf daher dem historischen Sokrates zugeschrieben werden, zumal Plato selbst sie für sein Werk nicht befolgte."

- 168 -

 

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Zur sokratischen Philosophie

 

Replik zu einigen Sätzen aus dem Epilog von „Die Vorsokratiker“

von Wolfgang H. Pleger, Sammlung J.B.Metzler Seite 174

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Wolfgang H. Pleger: „Philosophie heißt für Sokrates: auf Wahrheit aus-gerichtet zu sein, ohne sie zu besitzen.“

 

Gilt das nur für den Sokrates? Wer kann denn "Wahrheit besitzen"?

 

1. Für die Philosophie ist es Voraussetzung, auf die Wahrheit aus-gerichtet zu sein.  Das gilt nicht nur für den Sokrates, sondern für jeden Philosophierenden – ausnahmslos! Wer nicht auf die Wahr-heit ausgerichtet ist, kann schwätzen, aber nicht philosophieren.

 

2. Nicht nur Sokrates kann die Wahrheit nicht besitzen. Niemand kann das.

 

Diese beiden Aspekte sind also nicht typisch für die

Person Sokrates, sondern typisch für die Philosophie.

 

- 174 -

 

Wolfgang H. Pleger: „...wenn man den sokratischen Charakter des Ver-ständnisses von Wissen geklärt hat. Für Sokrates hat Wissen die Bedeu-tung von Einsicht und Überzeugung.“

 

 ⚫  Für Sokrates hat Wissen die Bedeutung von Einsicht: Ja.

 ⚫  Für Sokrates hat Wissen die Bedeutung von Überzeugung: Nein.

 

Momente der Einsicht sind flüchtig. Der Charakter

einer Überzeugung jedoch ist starr und andauernd.

 

Im Gegensatz zur Einsicht entspringt die Überzeugung

dem Denken - in Verbindung mit der Konditionierung.

 

- 177 -

 

Wolfgang H. Pleger: „Sokrates hat wie kein anderer vor ihm oder nach ihm den Dialog als Methode der Wahrheitsfindung in die Philosophie eingeführt.“

 

Heißt das, daß es das, was wir nicht kennen oder

von dem wir nichts wissen, auch gar nicht gibt ?

 

Meines Wissens gibt es sehr viele, meist kleine Schulen, die sehr an der Wahrheit interessiert sind.

 

Für die Vergangenheit kann ich nichts sagen, außer diesem: Wenn ich von etwas nicht gehört habe, ist das kein Beleg für seine Nicht-existenz. Warum sollte ich annehmen wollen, daß der Sokrates (in was auch immer) der Erste war?

 

Daß jemand des erste Mal davon gehört hat: Das läßt sich sagen.

 

Außerdem ist der Dialog, von dem Sie sprechen, kein gewöhnlicher Dialog: Es ist kein Dialog auf Augenhöhe. Er ist vergleichbar mit ei-nem Verhör bei der Kriminalpolizei. Nur daß in dem einen Fall der Fragende (Polizist) etwas erfahren will und im anderen der Befragte (Schüler).

 - 178 -

 

Wolfgang H. Pleger: „In der Regel setzt sich Sokrates jeweils nur mit einem Gesprächspartner auseinander, auch wenn im Laufe eines Ge-sprächs nacheinander mehrere zu Wort kommen.“

 

Für Gespräche dieser Qualität ist es ratsam, den Dialog zu wählen. Jede mit Weisheit vertraute Person wird dies so handhaben.

 

Denn in einer kleinen Gruppe die selbe Qualität zu halten, die in ei-nem Dialog möglich ist, setzt eine sehr hohe Geistige Reife auf Sei-ten der Schüler voraus. Mit gewöhnlichen Menschen, zum Beispiel Intellektuellen, ist das in einer Gruppe unmöglich.

 

Wolfgang H. Pleger: „Mehrmals wird betont, daß man mit der Menge kein Gespräch führen könne.“

 

Das ist einfach so. Heute ist das nicht anders als zu anderen Zeiten.

 

Wolfgang H. Pleger: „Was gesucht wird, ist … die Zustimmung des je-weiligen Gesprächspartners“

 

Widerspruch: Hier geht es um EIN-Sicht und nicht darum, daß der A dem B zustimmt. Das Ego spielt hier keine Rolle. Wenn die Zu-stimmung auf Basis einer wahren Einsicht erfolgt, ist die „Zustim-mung nicht auf A oder B gerichtet, sondern auf C, auf die Wahrheit.

 

Ähnlich wie in der Arithmetik: Ein Ergebnis ist entweder zutreffend oder nicht. Zustimmung & Widerspruch sind hier obsolet.

 

Da gibt es keine Diskussion...

und auch keinen Kompromiß.

 

- 179 -

 

Wolfgang H. Pleger: „Sokrates ist ein Denker der Bewegung, weil für sein dialogisches Philosophieren die Bewegung des Denkens konstituti-ves Merkmal der Wahrheitssuche ist.“

 

Das ist nicht zutreffend.

 

1. Sokrates ist in Bezug auf den Aspekt, der hier relevant ist, kein Denker. Daß bei ihm nicht das Denken, sondern das Nichtwissen im Zentrum der Aufmerksamkeit steht, macht ihn als vermeintliche Besonderheit den Geschichts-Schreibern doch erst interessant.

 

2. Sokrates ist nicht Teil einer „Bewegung“.

 

3. Die Mäeutik ist eine Lehr-“Technik“. Sie ist also selbst keine und erst recht keine sokratische Philosophie.

 

4. Denken ist kein „konstitutives Merkmal der Wahrheitssuche". Auch nicht für Sokrates. Im Gegenteil: Der Philosoph benötigt das Denken erst im Nachgang, also  n a c h  dem Philosophieren. Und zum Sprechen. Aber nicht für das Philosophieren selbst.

 

Wolfgang H. Pleger: „Vergleicht man Sokrates mit den Vorsokratikern,“

 

Warum sollte jemand den Sokrates mit wem auch immer sonst ver-gleichen wollen? Das wäre nur dumm und würde zu nichts führen, außer vielleicht... Verwirrung stiften.

 

Mit Weisheit jedenfalls hätte ein solches Vorgehen nichts gemein.

 

Außerdem: Was sollten das für Kriterien sein, die aufgestellt wer-den müßten, um weise Männer miteinander vergleichen zu können – durch Männer, denen die Weisheit selber, so gut wie unbekannt ist?

 

Das Kleinere... kann das

Größere nicht verstehen.

 

Wolfgang H. Pleger: „daß er (Sokrates), wie Cicero meint, die Philoso-phie vom Himmel auf die Erde herabgerufen ... hätte,“

 

Ja, so ist es. Cicero hat es poetisch formuliert, aber er hat genau verstanden, was passiert. Das heißt er kennt es. Das heißt weiter: Auch er (Cicero) hat schon selber philosophiert.

 

Wolfgang H. Pleger: „das taten die Sophisten auch“

 

Nein...

 

🌟 Philosophieren und Denken sind nicht das Selbe!

 

Der Sokrates philosophiert.

Der Sophist intellektualisiert.

 

("Sophist" ist hier umgangssprachlich gebraucht, nicht wörtlich!)

 

Der Philosophierende öffnet

sich, der Denker verengt sich.

 

Wolfgang H. Pleger: „Aufgrund dieses methodischen Neuansatzes ist es gerechtfertigt...“

 

Es ist nicht gerechtfertigt...

 

Es war nicht Kolumbus, der Amerika entdeckte, es ist unsere primi-tive Art von „Geschichte“, die uns das weismachen soll.

 

Die Methode des Sokrates ist kein „methodischer Neuansatz“: Wir können sie in Europa nur bis zu seiner Vita zurück verfolgen – das ist alles.

 

Es ist ignorant, den Pflock in die Erde zu rammen, solange wir nicht auch alle arabischen, chinesischen und indischen Quellen in dieser Sache herangezogen haben.

 

Wir würden schnell feststellen, daß es schon zu früheren Zeiten und auf anderen Kontinenten Menschen vom Kaliber des Sokrates gege-ben hat.

 

Die Weisheit ist nicht erst

in Europa geboren worden!

 

Übrigens nutzt die „Methode“ jeder, der sich aufs Philosophieren einläßt auf die eine oder etwas andere Weise, selbst in seinem stil-len Kämmerlein. Nur wird er dabei nicht an „Methode“ denken.

 

Es ist viel einfacher...

 

Geschichtlich ist sie uns bekannt, weil Sokrates sein Lehren nicht nur auf wenige Menschen beschränkt hat, sondern sie quasi auf dem Marktplatz betrieben hat. Das hat ihn schließlich den Kopf gekostet.

Nicht Wissen zu verkaufen, sondern zu lehren, wie man sich der Weisheit öffnet, war eine bis dahin unbekannte geistige Qualität
in Europa. 

- 181 -

 

 

 

 

 

 

Illusion-Zerstörung

 

Wolfgang H. Pleger: Sokrates "Der Beginn des philosophischen Dialogs", Reinbek, Seite 57

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Mir scheint, die Arbeitsweise des Sokrates wurde nicht wirklich ver-standen:

 

Wolfgang H. Pleger: Sokrates, der Lehrer, tritt regelmäßig als Schüler auf. Nicht er will andere belehren, sondern von ihnen belehrt werden. Er ist der Unwissende, seine Philosophie tritt auf in der Gestalt des Nichtwissens."

 

1. Da findet kein „Auftritt“ statt, erst recht kein „philosophischer“ und am allerwenigsten „seine Philosophie“ – die es übrigens auch gar nicht gibt.* Das ist eine Idee der Akademiker, die die "Funkti-onsweise" der Philosophie nicht verstehen.

 

2. Nichtwissen ist keine "Gestalt", es ist unser aller Situation: Wir wissen nichts, wir glauben es nur. Das wissen aber die Akademiker nicht. Sokrates verhält sich also ganz authentisch... als Nichtwissen-der. Das ist keine schauspielerische Maskerade.

 

In den ersten Jahren sammeln wir Wissen an, um in

späteren zu wissen, daß wir nichts wissen (können).

 

Wolfgang H. Pleger: „Umgekehrt bringt er seine Gesprächspartner in die Position des Wissenden.“

 

Sokrates bringt niemanden irgendwo hin, in keine Position, also auch nicht „in die Position des Wissenden“. Die Menschen wähnen sich doch schon längst in der Position, zu wissen. Seinen Schülern geht es da natürlich nicht anders.

 

Wolfgang H. Pleger: Das schmeichelt den meisten und provoziert sie, ihr vermeintliches Wissen auszubreiten.

 

Es geht nicht darum, jemanden bloßzustellen. Die Schüler sind schon ziemlich „fortgeschritten“, sonst würden sie sich nicht jeman-dem vom Schlage Sokrates und dessen radikalen Arbeits-Methoden aussetzen. Jemand, der glaubt, gut bei Verstand zu sein, macht das nicht. Der "rettet sich", indem er so jemanden, so gut es nur geht, meidet.

 

Sokrates führt seine Leute auf den Weg der Weisheit. Und die Voraussetzung dafür ist die uneingeschränkte (!) Wahrhaftigkeit.

 

Also ist es ganz selbstverständlich, herauszufinden: Was weiß ich und was nicht. Eine Person (Lehrer, Mentor) mit eigener Erfahrung in dieser Praxis, kann hier enorm hilfreich sein.

 

Denn erst wenn die Idee „zu wissen“, zusammengebrochen ist, kann sich die Weisheit zeigen – die hinter dem (bzw. durch den) Verstand verborgen ist.

 

Wolfgang H. Pleger: Erst im konsequenten Nachfragen stellt sich heraus, dass sie selbst die Unwissenden sind.“

 

Nicht nur sie, sondern  a u c h  sie. Sokrates weiß das schon. Die Leute, die sich intellektuell mit Sokrates beschäftigen, wissen es (immer noch) nicht. Sie setzen lieber auf „ihren“ Verstand, auf die vermeintlich sichere Seite. Um Sokrates... machen sie einen großen Bogen, denn:

 

Der Job eines Sokrates

ist Illusion-Zerstörung.

 

Wolfgang H. Pleger: „Philosophie heißt für Sokrates: auf Wahrheit aus-gerichtet zu sein, ohne sie zu besitzen.“

 

Gilt das denn nur für den Sokrates?

 

1. Für die Philosophie ist es Voraussetzung, auf die Wahrheit ausge-richtet zu sein. Das gilt für jeden Philosophierenden, ausnahmslos! Wer nicht auf die Wahrheit ausgerichtet ist, kann zwar schwätzen, aber keinesfalls philosophieren.

 

2. Nicht nur Sokrates kann die Wahrheit nicht besitzen. Niemand kann das.

 

Diese beiden Aspekte sind also nicht typisch für die Person Sokra-tes, sondern typisch für die Philosophie.

 

 

_________________________________________________________

*) In der Philosophie (die ihrem Namen Ehre macht) gibt es kein "mein" und kein "dein", sondern nur die klare Unterscheidung zwischen Weisheit und nicht Weisheit.

 

 

 

 

Wahrnehmung

z

  

Weisheit entfaltet sich gerne...

in einem wissensleeren Raum.

 

Kleine Kinder (2) saugen alles auf, was es für sie an Interessantem zu wissen gibt. Diese Wissens-Gier ist notwendiger Teil ihrer Ent-wicklung.

 

Falls wir reifer werden, zeigen sich bald andere Schwerpunkte.

 

In dem einem Stadium der Reife

werden wir Sokrates studieren und in

einem anderen werden wir Sokrates sein.

 

In dem Sinne, daß wir nun selber wahrnehmen, also die Krücken fallen lassen können und auch verstanden haben, daß wir nichts wirklich jemals wissen können. Wir sind – genauso wie Sokrates – auf uns allein gestellt. Wir sind erwachsen (4) geworden. Ausdruck unserer Entwicklungs-Stufen in Bezug auf weise Menschen – wie Sokrates – im Spiegel der Geistigen Reife:

 

7 – Autonomie – ebenfalls lehren
6 – Hospitation – auf gleicher Ebene sprechen
5 – Jüngerschaft – Schüler werden
4 – Ablehnung – Kritik und Widerstand
3 – Neugierde – vorsichtiges „Anschleichen“
2 – Entdeckung – auf ihn aufmerksam werden
1 – Unentdeckung – ihn noch nicht erkannt haben

 

„Sokrates, der Lehrer, tritt regelmäßig als Schüler auf. Nicht er will andere belehren, sondern von ihnen belehrt werden. Er ist der Unwissende, seine Philosophie tritt auf in der Gestalt des Nichtwissens. Umgekehrt bringt er seine Gesprächspartner in die Position des Wissenden. Das schmeichelt den meisten und provoziert sie, ihr vermeintliches Wissen auszubreiten. Erst im konsequenten Nachfragen stellt sich heraus, dass sie selbst die Unwissenden sind.“

 Wolfgang H. Pleger

 

Ein Sokrates braucht keine Bibliothek, kein Hintergrundwissen, kein Geschichtswissen. Er muß auch nicht guggeln. Er braucht nicht einmal einen Spickzettel. Er braucht kein erhobenes Pult und keine Anerkennung. Er muß nicht „größer“ sein als seine Schüler. Er weiß, daß er es nicht ist. (Seine Schüler sind noch nicht so weit)

 

Es ist eine höhere, eine intelligentere Form des Lernens, als Lehrer vom Schüler zu lernen, denn...

 

Weisheit ist immer bereit,

sich zu entfalten, wenn wir

den Raum dafür betreten.

 

Mehr ist nicht nötig, als die Bereitschaft, in Wahrheit beisammen zu sein.

 

Wolfgang H. Pleger: "Umgekehrt bringt er seine Gesprächspartner in die Position des Wissenden."

 

Sokrates bringt seine Gesprächspartner in keine Position, auch nicht in eine des Wissenden, denn Sokrates weiß, daß sich die Weis-heit selbstverständlich auch dem Schüler zeigt, wenn er sich in den entsprechenden "Raum" begibt. Jedem Schüler steht prinzipiell* das gleiche Potenzial für Weisheit zur Verfügung, wie dem Lehrer.

 

*) prinzipiell = Er muß seine Bereitschaft entsprechend anheben. Auf der kognitiven, der Ego-Ebene passieren keine Erkenntnisse, sondern bloß Schlußfolgerungen.

 

Einwand: "All das sind nur doch nur formale geistig-mentale oder intellektuelle Denk-,Verstehens und Erfahrungsebenen."

 

A - Was heiß hier: „...sind doch nur“ ?

B - Die von dir genannten „Ebenen“ sind drei ganz verschiedene: 

 

  1. Die anspruchsvollste dieser drei ist die Verstehens-Ebene.

  2. Die nächstniedrige ist die mentale oder intellektuelle Ebene

  3. Die unterste ist die Erfahrungs-Ebene.

  

Die erste, die anspruchsvollste ist es, auf welcher Weisheit in allen ihren Ausdrucksformen geschieht.

 

(was nicht gleichzeitig bedeutet, daß die beiden anderen nicht auch im Konzert der Hilfen des Menschen ihren wichtigen Platz hätten) 

 

Einwand: "Von mir aus auch Reflexionsebenen."

 

Wenn du unter „reflektieren“ Denken verstehst: Nein.

 

Einwand: "Ob du denkst, wahrnimmst, verstehst, erkennst, erfährst, einsiehst, erfühlst etc."

 

Wahrnehmen, Verstehen, Erkenntnisse sind (und be-nötigen) keine Denkvorgänge.

⚬ Das Erfühlen hat im engeren Sinne ebenfalls nichts mit dem Denken zu tun.

 

◾ Wahrnehmen... geht schnell. ― Denken braucht Zeit.
◾ Verstehen... geschieht spontan. („Heureka!) Das „Nach“- Denken folgt erst danach, nach dem Verstehen.
◾ Erkenntnis... gewinnt man unerwartet. Denken hilft hier gar nicht. ― Offenheit schon.

 

Für reines Sehen und Hören wird kein Denken gebraucht.

⚬ Für die Bewußtheit wird ebenfalls kein Denken gebraucht.

Auch reines Tun... geht ohne jede intellektuelle Anstrengung.

Sogar Achtsamkeit, Liebe, Dankbarkeit und Mitgefühl kommen ohne mentale Aktionen aus.

 

(Ein Aldi-Einkauf dagegen klappt nicht ohne Einsatz des intellektuellen Verstandes)

 

Einwand: "Selbstverantwortlichen Lebensgestaltung gliedert Sokrates in verschiedene "Lebensprinzipien"."

 

Im Zustand der Unbewußtheit braucht es vielleicht solche Hilfskon-strukte, wie Gesetze Ver-Ordnungen, moralische Leitlinien, Etikette und vielleicht auch so etwas wie "Lebensprinzipien", aber...

 

Brauchst du das alles auch, um niemanden Schaden zuzufügen? Ist es nicht eine Frage der Reife, ob wir Leitlinien benötigen, oder nicht? Brauchst du jemanden, der dir sagt, wo´s lang geht? 

 

Einwand: "8. Achte auf Deine innere Stimme, die Dir sagt, was Du mei-den mußt."

 

Gute Empfehlung; ich schließe mich ihr an, aber weißt du das nicht auch ohne Lehrer?

 

Irgendwann muß jeder die Schule (welche auch immer) verlassen, sich auf die eigenen Beine stellen und sich aufrichten. 

 

Einwand: "Leitsätze, die ein Einzelner gegen sich selbst erheben sollte."

 

Niemand sollte irgend etwas  g e g e n  sich selbst erheben. Diese weise Empfehlung hier reicht schon als Richtschnur aus:

 

Was du nicht willst, das man dir tu´,

das...  füg´ auch keinem andern zu.

 

Irgendwer hat das noch kürzer gesagt:

 

Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

 

Ein deutscher Philosoph hat daraus kategorisch seinen eigenen Im-perativ gebastelt – der zwar etwas komplizierter klingt, aber essen-tiell das selbe sagt. 

 

Einwand: "Entweder liste mal `n Buch oder gehst zum Therapeuten."

 

Diese Empfehlungen kann ich nicht teilen: Beides ist unnötige Zeit-verschwendung. 😉

 

Einwand: "10. Lebe wahrhaftig, indem Du niemals vorgibst etwas zu können oder zu wissen, was Du nicht kannst oder nicht weißt." 

  

Mein Alternativ-Vorschlag: Sei stets wahrhaftig. Ohne jede Ein-schränkung. Wahrhaftig sowohl im Ausdruck, als auch in der Re-zeption. Wahrhaftig gegenüber anderen und wahrhaftig gegen dich selbst. 

 

Sokrates