Freier Wille
Wir glauben an die Willensfreiheit.
Warum nutzen wir sie dann nicht?
Ein Tropfen Liebe ist mehr
als ein Ozean an Wille und Verstand.
– Blaise Pascal –
Freier Wille ?
Die Leidenschaft, mit der seit zehn Jahren über freien Willen gestritten wird, verdanken wir der Neurobiologie und der Vorstellung, die stets wachsende Kenntnis vom menschlichen Gehirn könnte uns helfen, die Frage nach dem freien Willen zu beantworten. Manche Forscher in Deutschland und auch in den Vereinigten Staaten meinen, dass die neurobiologische Forschung uns mehr und mehr Hinweise dafür liefert, dass der Determinismus (die Vorherbestimmung) wahr ist. Das wäre der größte Witz der Geschichte. All unsere Bemühungen, all unser Moralisieren, unsere Schuldgefühle – alles eine Menge heißer Luft, denn wir hätten sowieso nichts ändern können.
– John R. Searle
(Professor für Philosophie an der University of California, Berkeley)
Und dennoch...
Willensfreiheit
Wir müssen an den freien Willen glauben. Wir haben keine andere Wahl.
– Isaac Bashevis Singer
Isaac Bashevis: "We have to believe in free will.“
Im täglichen gesellschaftlichen Leben kommen wir weitgehend mit dem Glauben an den freien Willen klar. Auftretende Ungereimtheiten biegen wir mit Hilfe der Vernunft schon irgendwie zurecht.
Aber manchmal, wenn plötzlich Unerwartetes oder Ungeplantes geschieht oder wenn wir selber einfach mal sehr genau hinsehen, müssen wir erkennen, dass "free will“ nur ein liebgewonnener Glaube ist, eine Annahme, eine Idee.
Aber: „We've got no other choice." Die Annahme als Notwendigkeit.
Einwand: "Ein wunderbar humorvolles Paradoxon!"
Der Satz des Isaac Bashevis Singer ist nur so lange ein Paradoxon, wie wir auf der (logischen) Ebene bleiben. Sobald wir die Vertikale einbeziehen, verschwindet es.
Um im sozialen Gewusel zurecht zu kommen, brauchen wir die Annahme, dass es so etwas wie den „freien Willen“ gibt und müssen also praktischerweise an seine „Existenz“ glauben.
Auf einer höheren Ebene, auf einer ober- oder über-logischen Ebene, einer Ebene jenseits des logischen Denkens ist klar: Es gibt gar nicht das, was wir den „freien Willen“ nennen.
Auf der einen Ebene muss es ihn geben, ist der Glaube an ihn lebensnotwendig, auf der anderen Ebene wissen wir es besser. Aber das Besserwissen ändert nichts an der Tatsache des Erfordernisses der Idee vom freien Willen.
We have to believe in free will.
We've got no other choice.
– Isaac Bashevis Singer –
Wir haben keine andere Möglichkeit, als auf der sozialen (!) Ebene an die Idee, wir hätten so etwas wie einen "freien Willen", zu glauben – ob es ihn tatsächlich auch gibt oder nicht.
Es gibt Dinge, die können wir nur "verstehen", wenn wir die Vertikale einbeziehen. Aber welcher "Intellektuelle" mag schon seine geliebte Logik als kleiner ansehen, als er sie bisher gedacht hatte?
Einwand: "Glaube ist auf keiner Ebene lebensnotwendig!"
Würdest du nochmal etwas genauer hinschauen, könntest du sehen, dass du täglich hunderten von Glaubenssätzen folgst. Damit sind natürlich keine religiösen Glaubensbekenntnisse gemeint, sondern die vielen Annahmen und Vermutungen, aufgrund derer du den nächsten Schritt tust, den nächsten Handgriff erledigst, die nächste Entscheidung triffst... Das alles macht dein Verstand, ohne dass „du“ gebraucht wirst, ohne dass du die kleine intellektuelle Ecke auch nur aufwecken müsstest.
Wie willst du denn ohne den Glauben an einen freien Willen eine Entscheidung treffen? Eine Entscheidung triffst du auf der Basis der Annahme, dass du einen freien Willen hast. Auch für dich... ist der Glaube an die Idee vom freien Willen lebensnotwendig.
Einwand: "Mir ist nicht ein Quantenphysiker bekannt der so blind und anmassend wäre zu behaupten, er hätte die Quantenphysik verstanden."
Und was willst du damit sagen? Dass du viele Quantenphysiker kennst? Oder dass diese „Physik“ nicht verstehbar ist? Was ein Mensch verstehen kann, ist grundsätzlich... vom Menschen verstehbar.
Natürlich gibt es Unterschiede in der Fähigkeit des Verstandes, die nicht willentlich (z.B. durch Lernen, Training, Ehrgeiz) wesentlich verändert werden können:
Der eine kann sehr gut Farben sehen, der andere nicht oder nur eingeschränkt. Das gilt auch für räumliches Vorstellungsvermögen, das entweder vorhanden ist oder nicht, für die Fähigkeit, Gesehenes oder Gelerntes effizient zu speichern und zu erinnern oder nicht, für die unterschiedliche Fähigkeit, Mitgefühl empfinden zu können, für die Fähigkeit, Ironie verstehen zu können. Der eine kann gut mit Zahlen und mit Logik, ein anderer Verstand zeigt mehr Fähigkeiten im kreativen Bereich und viele andere... grundsätzlich zu unterscheidende Voraussetzungen.
Einwand: "Die Richtigkeit ist nicht bewiesen."
Du spricht hier auf der Ebene der Logik – ohne die Vertikale einzubeziehen.
Etwas Ober- oder Überlogisches kann nicht bewiesen werden, weil sich das Werkzeug „Beweis“ auf der niedrigeren Ebene befindet, auf der der Logik.
Etwas ist nicht allein deshalb wahr oder unwahr, weil
es logisch bewiesen oder nicht bewiesen werden kann.
Und wenn du wissen möchtest, ob du tatsächlich einen freien Willen hast oder das bloß glaubst, musst du in die Vertikale gehen, auf eine etwas höhere Ebene – oder die Neurologen fragen. Das wäre dann schon wieder die niedrige Ebene. Und deren Aussagen musst du dann auch wieder... „glauben“. 😊
Einwand: "Für dich scheint alles klar verstanden und so und nicht anders zu sein."
Ja, das eine oder andere ist klar ersichtlich. Für Jedermann.
Wollen
Nicht zu bekommen, was man will,
ist manchmal ein großer Glücksfall.
– Dalai Lama
Vielleicht können wir
tun was wir wollen, aber wir
können nicht wollen, was wir wollen.
Der Wille des Menschen kann
den Willen Gottes ebenso wenig beugen,
wie ein Astrologe den Lauf der Sterne ändern kann.
– Khalil Gibran
Dein Wille geschehe.
– NT –