"Denk' nur einmal darüber nach, wie viel Energie das braucht: Du erschaffst einen Jemand, der nicht da ist um etwas zu bekommen, was du schon hast. Und dann erschaffst du die Zeit, die nicht existiert, um dorthin zu gelangen. Das ist verdammt harte Arbeit!

Und dann die Erkenntnis: Du brauchst das alles nicht. Es fällt einfach weg. Das ist, als fiele eine schwere Last von dir ab. Und dann... musst du lachen!"

– Dr. Richard Linchitz

(aus: “Jeder Augenblick ist Gnade”)

 

 

 

 

Dr. Richard Linchitz

 

 

Teilnehmer: Dieses sogenannte Advaita-Konzept bleibt für mich ein Konzept wie jedes andere, solange ich es nicht selbst erfahren kann. Es geht ja darum, Das zu erfahren… Aber solange ich nicht erleuchtet bin und es erfahre, bleibt es für mich genauso ein Glaubenssatz wie der Katholizismus oder der Buddhismus usw. Und meine Frage wäre: Wie kann ich Das erfahren, wenn es keinen Weg gibt?

 

Rick: Du, der für den du dich hältst, kann es nie erfahren.

 

Teilnehmer: Dann kann ja der, für den ich mich halte, nur glauben.

 

Rick: Der, für den du dich hältst – ja, der kann nur glauben oder nicht glauben. Der, für den du dich hältst, wird scheinbar komplett vom Verstand kontrolliert. Und der Verstand kann immer nur von dem ausgehen, was er kennt. Er teilt die Welt in gut und schlecht ein, strebt nach dem Guten, versucht das Schlechte loszuwerden, wenn er kann, und zweifelt dann an den Entscheidungen, die er getroffen hat. Der einzige Grund, warum Das so weit von dir entfernt zu sein scheint, ist dein Konzept von der Erleuchtung. Und Konzepte basieren immer auf dem Bekannten – doch Das ist absolut jenseits von allem Bekannten.

 

Der Verstand wird zum Beispiel versuchen, sich so etwas wie endlose Freude und Glückseligkeit vorzustellen. Aber er wäre niemals zufrieden mit endloser Freude und Glückseligkeit.

 

Es gibt absolut niemanden in dieser Welt,

der mehr hätte als das, was du schon hast. – Rick Linchitz

 

Sobald du endlose Freude und Glückseligkeit erreicht hättest, würde der Verstand sagen: “Aber das ist doch lächerlich! Ich kann überhaupt nichts mehr planen, ich kann in dieser Welt nicht leben! Ich kann hier nichts leisten, ich kann kein Geld verdienen, ich werde verhungern. Aber vielleicht kann ich die Glückseligkeit ja nach Bedarf an- und abschalten.” Und selbst dann würde der Verstand irgendwelche Probleme entdecken. Der Verstand kann sich Das niemals vorstellen, weil es jenseits von Erfahrungen ist. Es hat nichts, absolut nichts mit endloser Glückseligkeit zu tun. In gewisser Weise ist es nicht besser, als der Zustand, in dem du jetzt schon bist. Lass es mich erklären:

 

Der Verstand teilt die Welt in gut und schlecht ein. Also wird er sagen, dieser erleuchtete Mensch hier (der in Wirklichkeit nicht einmal existiert) hat etwas, das ich haben will. Aber es gibt absolut niemanden in dieser Welt, der mehr hätte als das, was du schon hast. Es ist dein Geburtsrecht. Und das einzige, was zwischen dir und Dem steht, ist der Wunsch, die Dinge zu verbessern. Das Paradox ist, dass du absolut nichts dafür tun kannst. Es wird passieren oder es wird nicht passieren. Und wenn es passiert, wird alles klar und alle Veränderungswünsche verschwinden – nicht weil du plötzlich endlose Glückseligkeit gewonnen hast, sondern weil der Wunsch verschwunden ist, irgendetwas zu verändern. Es herrscht vollkommene Akzeptanz für alles, was ist, auch für die Verwirrung und für die Tatsache, noch nicht erleuchtet zu sein. Es ist dir einfach nicht mehr wichtig. Es hat keine Bedeutung mehr.

 

Vollkommene Akzeptanz für alles,

was ist, auch für die Verwirrung. – Rick Linchitz

 

Teilnehmer: Ich kann das so verstehen: Es gibt zum Beispiel Momente, wenn ich in den Bergen unterwegs bin und mich wirklich verausgabe. Wenn ich mich dann einfach hinsetze und mir eine schöne Landschaft ansehe, dann habe ich oftmals das Gefühl, dass da nur noch Sehen ist, aber keiner, der sieht. Doch dieser Zustand hält natürlich nicht an. Wenn das nur erfahrbar ist, wenn der Verstand aufhört, dann wäre ja die einzige Chance, den Löffel abzugeben.

 

Rick: Das könnte funktionieren... (Lachen) Nun, das ist ein perfektes Beispiel für die Funktionsweise des Verstandes. Alle Menschen kennen natürlich solche Erfahrungen. In Wirklichkeit basieren alle Erfahrungen auf diesem Nichts, von dem wir sprechen, aber der Verstand erzählt uns, dass Dies die eine Erfahrung ist, nach der wir suchen.

 

Teilnehmer: Er möchte sie wiederhaben.

 

Rick: Natürlich, der Verstand möchte sie wiederhaben. Der Verstand legt sich zurecht, dass Erleuchtung bedeutet, sich immer so zu fühlen.

 

Teilnehmer: Aber ist es nicht witzig, dass der Verstand etwas haben möchte, bei dem er selbst gar nicht anwesend ist?

 

Rick: Richtig! Der totale Witz. Aber der Verstand will das gar nicht wirklich. Er wird niemals Selbstmord begehen – der Verstand doch nicht! Seine Energie, sein Kraft ist so stark und er ist so schlau, dass er dich immer wieder überzeugen wird. Du wirst das Rad des Lebens aus dem Wunsch, die Dinge sollten besser sein, als sie sind, immer wieder aus Neue erschaffen. Und weil der Verstand ohnehin nichts besser machen kann, wäre die beste Lösung eigentlich, das Ganze sein zu lassen. Doch auch das wird er in eine Praxis verwandeln: “Lass es sein, lass es sein...”

 

Teilnehmer: Ich kann, glaub ich, nicht locker lassen, um Advaita wirklich lehren zu können, oder um Das wirklich zeigen zu können, musst du ja in einem Zustand sein, der es erfährt. Sonst würdest du ja nur aus dem eigenen Glauben heraus sprechen.

 

Rick: Man kann es nicht lehren. Man kann es nicht an andere weitergeben. Wie könnte ich dir etwas geben, das du schon längst hast? Du kannst es nicht selbst verursachen und du kannst es nicht von einem anderen bekommen. Warum ich meine Geschichte erzähle – obwohl ich sie nicht als besonders wichtig sehe – ist, dass sie ziemlich typisch für diese Art von Situation ist.

 

Ich erzähle die Geschichte meiner Suche, weil ich vieles ähnlich erlebt und einige sehr tiefe Erfahrungen gemacht habe. Auch sie hatten nichts mit dem zu tun, worüber wir hier sprechen. Absolut nichts. Sie haben mich nur verrückt gemacht, weil ich hinterher noch angestrengter suchen musste. Je stärker die Erfahrung war, desto mehr wollte ich sie wiederhaben. Und der Verstand denkt sich Wege aus, um sie zurückzubekommen: „Streng dich noch mehr an, arbeite auf diese Weise, arbeite auf jene Weise...“ Dann meditiere ich auf diese Weise, und es bringt nichts, also muss ich auf eine andere Weise meditieren. Dann hat das Leben all das zerschlagen, hat mir alles genommen. Ich war vollkommen aufgelöst. Nichts! All meine Arten, mich selbst zu definieren, waren gestorben. Jedes Konzept über mich und die Welt war tot. Und aus diesem Nichts heraus veränderte sich alles. Da war nicht länger der Wunsch, irgendetwas zu suchen. Diese Hilflosigkeit und die vollkommene Hoffnungslosigkeit wurden zur Rettung. Das Verrückte war: Genau das, was der Verstand mehr als alles fürchtete – diese vollkommene Hilflosigkeit und die Hoffnungslosigkeit, die zu seiner Vernichtung führten – waren die Rettung. Die Hilflosigkeit wurde zur völligen Akzeptanz dessen, was ist, zur völligen Hingabe. Und Freiheit, Freude, Frieden folg-ten. Aber ich – der, für den ich mich hielt – hätte das nie und nimmer erreichen können. Und selbst irgendwelche Vorstellungen von Gnade sind nicht stimmig. Denn was mir in jenem Augenblick klar wurde, war, dass alles Gnade ist, jeder Augenblick an jedem Tag, hier, in diesem Moment und in jedem Aspekt des Bewusstseins.

 (aus “Jeder Augenblick ist Gnade”)

 

 

 

 

Frage: Ich liebe Dein Buch „Jeder Moment ist Gnade“ - Ich kann sehen, dass Du „dort“ bist. Es erscheint mir so als wäre es ein „Geschenk“ gewesen - war es das? Und mit dem Wort „Geschenk“ meine ich, dass ich nichts tun kann, um dort hin zu gelangen. Es passiert - oder es passiert nicht. Aber was kann ich tun, um damit aufzuhören etwas zu tun und jemand sein zu wollen - während ich mich in dem Zustand des „Jemand Sein“ befinde?

 

Rick: Du sagst „da ist nichts was ich tun kann“ und dann fragst Du „was kann ich tun um, aufzuhören jemand zu sein?“ Wie auch immer, es ist nicht so, dass es da nichts gibt was Du tun kannst, es ist vielmehr so, dass Niemand da ist um irgendetwas zu tun! Es gibt nur Bewusstsein - das ist Alles was da ist! Wenn das erkannt ist, ist ebenso erkannt, dass da niemals eine Person mit Deinem Namen, in irgendeinem Zustand, existiert hat und, dass sogar die Idee von „Vorher“ und „Nachher“ lediglich ein Gedanke ist, der keine unabhängige Realität hat. Dann ist ebenso erkannt, dass jeder scheinbare „Zustand“ lediglich Bewusstsein ist, welches als ein Jemand in einem Zustand erscheint. Die Idee von einer Person, die denkt sie sei „jemand“ ist der perfekte Ausdruck des Bewusstseins in der Zeitlosigkeit! Nichts braucht sich ändern...das ist die Gnade... das „Geschenk“!

 

Frage: Ich weiß um alles, was Du mir erzählst. Wirklich. Aber bis jetzt ist es lediglich ein intellektuelles Verständnis, weil da die Erfahrung des Ego und der Trennung ist. Wie kann „Ich“ verschwinden? Wie kann das passieren? Wie kann das passieren, dass die Erfahrung nur noch Stille ist, Nichts und Erkenntnis - mit einem Rest willkürlicher Persönlichkeiten welche auftauchen und dann wieder verschwinden? Diejenige, die denkt, sie sei ein Individuum mit einem Namen, stellt sich vor, dass etwas fehlt und, dass es einen Zustand von Segen, Stille, Leehrheit und Erkenntnis gibt, der irgendwann in der „Zukunft“ kommt.

 

Rick: Du bist bereits Bewusstsein - All das was ist, was sich selbst als „Jemand“ mit all diesen Gedanken und Glaubenssätzen ausdrückt. Es ist lediglich dieser „Jemand“, der nach dem „Wie“ fragt. Bewusstsein ist völlig zufrieden mit dem wie es ist. Alle Fragen verschwinden in der Auflösung dieses Glaubenssatzes von diesem Jemand. Das wird entweder „passieren“ - oder nicht, aber es gibt niemanden, der es passieren lassen kann (oder es verhindern kann, zu passieren). Gedanken geschehen weiter - doch der Glaube daran, dass sie die Wirklichkeit repräsentieren, schwindet.

 

Frage: Ich war die letzten beiden Jahre auf dem Rainbow Spirit Festival in Deinem Satsang. Letztes Jahr bat ich Dich, Dein Buch für mich zu signieren. Du schriebst „...sogar während Du an der Geschichte Vergnügen findest...“ hinein. Aber manchmal kann ich kein Vergnügen an der Geschichte (des Lebens) finden. Und manchmal kann ich es - aber nur in dem speziellen Moment - und nicht danach. Gibt es „schlechte“ Taten? Wenn es keine Wahl gibt, ist das dann eine Entschuldigung für alles, was ich anderen antue? Meine Geschichte ist die, dass der Bruder meines Ehemannes mich liebt und mit mir schlafen will. Es ist ein großartiges Gefühl mit ihm zusammen zu sein. Aber da ist eben auch mein anderes Leben mit meinem Ehemann und unseren drei Kindern. Ich fühle mich schlecht und geliebt zur gleichen Zeit. Ich weiß, was es heißt, ein „Niemand“ zu sein. Als ich letztes Jahr vor Dir stand war ich „nicht da“. Du hast mir offenbart, dass ich „Das“ bin weil Du „Das“ bist. Ich danke Dir sehr.

 

Rick: Die Geschichte scheint nahezulegen, dass da eine Person ist, die eine Wahl, über zwei verschiedene Lebenswege, treffen muss. Obwohl in Wahrheit keine Wahl besteht. Das Leben, wie es erscheint, wird sich auf jede ihm mögliche Weise entfalten. Diese Entfaltung kann schmerzhafte Gedanken und Gefühle enthalten - aber sie geschehen Niemandem. Der Schmerz scheint sogar noch schlimmer zu sein wenn da der Glaubenssatz existiert, dass es einen Jemand gibt, der den einen oder anderen Weg wählen muss. Es gibt niemanden, der einen Fehler machen kann.

 

Frage: Ich habe Ihr Buch gelesen und fand es ausgezeichnet. Nur eine kurze Frage: „Ist alles determiniert?“ Ja oder Nein?

 

Rick: Es gibt weder freien Willen noch Vorbestimmung. In „dem Wissen“ wird es klar, dass die Zeit ebenso eine Illusion ist wie die Idee von der Individualität. Es gibt nur „was ist“. Das ist die unendliche Gegenwart... keine Vergangenheit und keine Vorbestimmung. Ebenso setzt freier Wille das Konzept der Zeit voraus, nämlich wenn ein „Individuum“ eine „Wahl“ in der „Zeit“ trifft. Deshalb gibt es ebenso keinen freien Willen.

Sei hilflos, völlig aufgeschmissen,
ohne Ja und ohne Nein.
Dann wird ein Gnadenstrahl erscheinen,
der dich trägt.

Zu abgestumpft sind unsre Augen,
um jene Schönheit zu erblicken.
Wenn wir sagen wir sehen sie,
ist das gelogen.
Sagen wir wir sehen sie nicht,
wird uns das Nein enthaupten
und unser Fenster hin zum Wunder
fest verschließen.

Lasst uns deshalb im Ungewissen bleiben,
Nur unserer selbst gewiss,
nur das - dann eilen
geheimnisvolle Wesen uns zur Hilfe.

So liegen wir im Innenkreis der Null,
Verrückt, verzückt, verstummt
und sagen: Führe du uns!
Und haben wir uns jener Schönheit ganz ergeben,
dann werden wir zu großer Güte.

 

Dschalâl-ed-dîn Rumî

 

Frage: Rumi sagt: “Sei hilflos, völlig aufgeschmissen – dann wird ein Gnadenstrahl erscheinen.” Du sagst: “Jeder Augenblick ist Gnade”. Trägt der Gnadenstrahl uns erst, wenn wir hilflos und aufgeschmissen sind oder schon jetzt, in jedem Augenblick? Das kommt mir richtiger vor. Kannst du etwas dazu sagen?

Rick: Ich habe schon geahnt, dass ich Probleme kriege, wenn ich Rumi zitiere! Denk dran –

 

Worte können immer nur

die Wahrheit wachrufen,

die du schon weißt.


Manche ‚Lehrer’ versuchen, Worte auf präzise Weise zu nutzen, um auf die Wahrheit hin zu deuten. Ihre Konzepte sind verhältnismäßig klar und konsistent (aber nie vollkommen, weil wir schließlich Nichts beschreiben).
Andere, wie Rumi, sind trunken vor Liebe zu Dem. Seine Poesie ist bedeutungsvoll, aber ihre einzelnen Bestandteile können nicht wirklich effektiv analysiert werden. Wenn wir sie zu analysieren versuchen, klingt alles schief (oder zumindest die Übersetzungen klingen schief, wir lesen ja nicht das Original). Wenn er zum Beispiel sagt: “Sei hilflos, völlig aufgeschmissen, ohne Ja oder Nein” – mit wem spricht er da? In Wirklichkeit ist da niemand, der wählen könnte, hilflos zu sein oder nicht. Und wenn es niemanden gibt, der eine Wahl treffen kann – wann kommt dann der ‚Gnadenstrahl’? Er ist wirklich immer da, obwohl wir ihn nicht immer klar sehen.
Doch wenn ich Rumi lese, kann ich die Trunkenheit spüren... die Liebe zu Dem scheint verstärkt zu werden und ich könnte vor Freude laut sin-gen (na gut, ich erspare dir das lieber).

Frage: Rumi sagt: “Wir sind zu blind, um jene Schönheit zu sehen. Wenn wir sagen, wir sehen sie, dann lügen wir.” Ist das so, weil wir die Schönheit nur sehen, wenn ‚wir’ nicht mehr sind?

Rick: Genau! Die Schönheit ist ‚was ist’ und das sehen wir nur, wenn ‚wir’ nicht mehr sind. Aber alles in allem würde ich Rumis Gedichte nie als Lehrbeispiel verwenden oder versuchen, die einzelnen Aussagen auseinander zu pflücken. Wenn seine Poesie die Liebe zu Dem weckt, dann ist das genug. Es reicht, sie zu genießen!

Frage: Danke für deine Antworten - mir fällt wieder mal eine Last von der Seele! Ich kann sehen, wie der Verstand versucht, die Präzision deiner Aussagen zu verstehen und nachzuahmen. Dann habe ich plötzlich den Eindruck, ich müsste und könnte Rumi ‚durchschauen’ und entscheiden, welche Gedichtstellen stimmig sind und welche nicht. Aber deine Antworten zeigen mir, wie absurd das ist! Dann spüre ich diese Einfachheit – etwas Leichtes oder Süßes, Erleichterung und Freude: Gedichte dürfen einfach nur Gedichte sein, und die Freude an ihnen ist Das – jenseits von Worten und von Gedanken, ohne an etwas festzuhalten (wie wenn mir ein alter, schwerer Mantel von den Schultern rutscht und ich den Wind wieder spüren kann).

Rick: Wunderschön gesagt.

Frage: Ja, und dann kann ich sehen, es sind alles nur Hinweise, manchmal in Form von Klarheit, manchmal als Freude an einem schönen Gedicht, manchmal als Hilflosigkeit... was auch immer. Kein Richtig, kein Falsch, kein Weg. Ich würde gerne noch mehr fragen, einfach weil es ein solches Vergnügen ist, Antworten zu erhalten, aber das ist jetzt einer der Momente, in denen die Fragen ‚wegbröseln’. Deshalb schicke ich dir lieber noch ein anderes Gedicht von Rumi und bitte dich, etwas dazu zu sagen. Wenn du magst...

.......................


Frage: Rick, in deiner Einführung sagst du: “Die Vorstellung, es gäbe einen separaten Rick, war verschwunden und kam nie zurück.” Wie erlebst du jetzt diesen so genannten ‚Rick’, der aus praktischen Gründen ‚Ich’ sagt und auf all diese Leute, die sich für getrennte Wesen halten, eingeht, als wären diese eine ‚Person’?

Rick: ‚Ich’ erlebe keinen Rick; es gibt nicht länger die Illusion eines ‚Ich’, das irgendetwas erlebt. Die Reaktionen der scheinbaren Individuen aufeinander finden vollkommen automatisch statt, und Rick wird nur als getrennte Person gesehen, wenn die Idee der Individualität und des Getrenntseins als Filter dient.

Die gesammelten Gedanken – insbesondere die ‚selbst’-bezogenen Gedanken, die wir als ‚Verstand’ oder ‚Ego’ bezeichnen – zerlegen die Realität ständig auf diese Weise in du und ich, meins und deins, gut und schlecht, und so weiter. Solche Gedanken finden auch nach dem Erwachen weiterhin statt, aber es wird ihnen kein Glaube mehr geschenkt. Das Leben wird einfach gelebt. Alles geschieht von selbst und die Interaktionen bereiten kein Kopfzerbrechen mehr.

Da besteht ein ‚Wissen’, dass es keinen individuellen Rick mehr gibt, obwohl immer noch Emotionen, Gefühle, Gedanken und Empfindungen da sind, die anscheinend von einem bestimmten Körper ausgehen, den andere scheinbare Individuen ‚Rick’ nennen. Diese Gedanken und Gefühle sind dieselben ‚Erfahrungen’, die zu dem Glauben an andere getrennte Individuen führten. Sie werden nicht länger geglaubt oder in irgendeiner Weise für bedeutungsvoll gehalten. Alles das hat überhaupt kein Gewicht – genau wie das scheinbare Leben, das sich automatisch zu entfalten scheint.

Frage: Rick, manchmal ist es mir peinlich, Fragen zu stellen. Mein Verstand sagt mir dann, ich müsste die Antworten selber wissen oder richtiger, er würde sie für mich finden, wenn ich ihm nur genug Zeit gebe. Es sagt: “Das ist doch vollkommen logisch, ich finde es dir heraus!” oder “Jetzt musst du wirklich mal hinter der Wahrheit her sein, etwas dafür tun, alles in dir anschauen und keine Zeit vergeuden,” und so weiter. Und dann kommst du und gibst diesem ganzen Mechanismus keine Chance. Ich habe dieses Koan-Gefühl, wo der Verstand gegen eine Wand rennt, und ich kann das nur willkommen heißen und wissen, dass ich nichts weiß. Deine Worte machen das mit mir. Und was ich jetzt wissen möchte: Ist das aus deiner Perspektive gesehen auch nur Quatsch, sind das auch nur Konzepte und Tricks des Verstandes oder was ist es? Ich glaube zu WISSEN, dass es etwas anderes ist, aber wer oder was in mir scheint das zu wissen?

Rick: Falls ich deine Frage recht verstehe: Alle Fragen kommen aus dem illusorischen Verstand, aber NICHTWISSEN ohne jede Frage, jede Sorge, ist etwas anderes. Da gibt es kein ‘Müsste’, kein ‘Sollte’ und kein ‘Sollte-Nicht’.
Wenn du einem Lehrer zuhörst, wird sich der Verstand leicht auf irgendetwas stürzen, um sich daran festzuhalten.

Sagt der Lehrer: “Vergeude keine Zeit“, dann hört der Verstand die subtile (oder nicht so subtile) Botschaft, er könne ‚etwas tun’. Selbst wenn der Lehrer dich einfach nur sanft ermutigt, die Dinge zu erlauben, kann der Verstand das als Methode benutzen.
Manchmal hat auch der Lehrer nicht ganz den ‚Durchblick’ und regt denjenigen, für den du dich hältst, dazu an sich zu bemühen. Es ist eine große Versuchung für viele Lehrer, diese Tür offen zu halten. Sie zu verschließen und klar zu kommunizieren, dass es absolut nichts zu tun gibt (weder für ‚dich’ noch für ‚mich’), bedeutet, dass der Lehrer nicht nötig ist – und das ist nicht gut, wenn sein Lebensunterhalt davon abhängt.

Dann wieder ist es der Schüler, der die Aussagen des Lehrers falsch interpretiert. Und der ‚Verstand’ dreht sich im Kreise.
Wenn der Lehrer der Illusion des Individuums eindeutig keinen Raum gibt, tauchen Angst, Verwirrung, Unsicherheit und sogar Hoffnungslosigkeit auf. Das ist der Verstand, das Konzept der Individualität, das sich aufzulösen beginnt.
Von ‚Dem’ aus betrachtet, kann, wenn die Bereitschaft da ist, ein freudiges Prickeln auftauchen, das Gefühl, dass der Verstand stoppt, Erstaunen, vielleicht Klarheit und Frieden.


Letzten Endes ist man hilflos, aufgeschmissen und vollkommen einverstanden mit allem. Ein wahres ‚Willkommen’, wie du es nennst, kann nur aus dieser absoluten Hilflosigkeit kommen.


Auszug aus Ricks Buch “Jeder Augenblick ist Gnade” , J.Kamphausen Verlag

 

 

 

 

Es ist alles ein Ausdruck der Liebe. Es ist einfach reine Liebe, die auf sehr seltsame Weise zum Vorschein kommt. Und wenn man sie nur in einer begrenzten Weise sieht, scheint es viel Grausamkeit oder Elend zu geben. Aber wenn man sie klar in ihrer Gesamtheit sieht, ist sie reine Liebe.

~ Rick Linchitz

 

 

 

https://youtu.be/Y_IStOAzAeg 

 

 

 

Die individuelle Persönlichkeit Richard Linchitz starb schon früher; der Körper folgte 2013.