Grundeinkommen auch für Häftlinge ?

 

 

Sascha Liebermann

13. September 2011

 

Eine Leserin unseres Blogs hat diese Frage vor einiger Zeit an uns herangetragen, zu der ich gerne Stellung beziehe. Auf den ersten Blick, die Grundeinkommensdiskussion vor Augen, scheint die Antwort eindeutig. Wenn das bedingungslose Grundeinkommen allen Staatsbürgern und Personen mit dauerhafter Aufenthaltsberechtigung bzw. nach einer Mindestaufenthaltszeit gewährt werden soll, weshalb sollten Häftlinge – genauer: Strafgefangene – davon ausgenommen sein, sofern sie die genannten Voraussetzungen erfüllen?

 

Bei genauerer Betrachtung aber müssen wir uns vor Augen führen, was es bedeutet, wenn jemand eine Haftstrafe verbüßt (Strafgefangene oder auch Sicherungsverwahrte). Strafgefangener unter Bedingungen eines Rechtsstaats wird jemand, weil er zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, das ist zuerst einmal trivial. Er hat mit seiner Tat die Rechtsordnung verletzt, die die Rechtsgemeinschaft sich gegeben hat. Nach geltendem Recht wird er verurteilt. Das richterliche Urteil vollzieht eine Wiederherstellung dieser Rechtsordnung, die durch die Tat verletzt wurde. Wichtig ist hierbei, welche Bedeutung dabei der Strafe zukommt. Schon der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat darauf hingewiesen (siehe G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosphie des Rechts § 99), dass die Bestrafung des Täters nicht bloß seine Unterwerfung unter das Recht vollzieht, sondern zugleich ihn als Täter, als mündige Person, anerkennt. Strafe und Anerkennung gehören also zusammen.

 

Was folgt hieraus nun für die zur Diskussion stehende Frage? Zumindest für den Fall, dass eine Haftstrafe durch Inhaftierung verbüßt wird, wäre die Bereitstellung des bGEs auszusetzen. Der Zweck des bGEs, die Entscheidungsautonomie zu stärken und Freiräume zu erhöhen, wäre durch die Inhaftierung als Folge der Staftat aufgehoben. Bei Strafen, die auf Bewährung ausgesetzt werden, sähe die Lage wohl anders aus, da der Täter in sein Lebensumfeld zurückkehren kann. Würde das bGE hier ausgesetzt, würde eine Erwerbsverpflichtung eingeführt. Der Verurteilte müsste sich dann in einem Wettbewerb behaupten, indem er nicht dieselbe Verhandlungsposition hätte wie andere, der Zweck des bGEs würde dadurch unterlaufen.

 

Nachtrag: In einer Zuschrift wurde darauf hingewiesen, dass das bGE sehr wohl ausgezahlt werden könnte und bei Straftgefangenen auf die entstehenden Kosten angerechnet werden sollte. In der Tat wäre das ebenso denkbar, hätte aber eine andere Bedeutung. Das bGE weiterzuzahlen und anzurechnen würde die Inhaftierung Kosten bilanzierend behandeln. Die Verletzung der Rechtsordnung ist aber eine Verletzung der Rechtsgemeinschaft als politischer Gemeinschaft, die eine Voraussetzung dafür ist, dass es überhaupt ein bGE geben kann. Das bGE für die Zeit der Inhaftierung auszusetzen, würde also auch zum Ausdruck bringen, dass eine Straftat eine Verletzung der Gemeinschaft darstellt.  

...sagt Sascha Liebermann

 

 

01/10/2011

 

Lieber Sascha...,

 

danke für deine Ausführungen und überhaupt....

 

 

Konkret zu deinem Aufsatz:

 

Grundeinkommen auch für Häftlinge? Vom 13. Sept. 2011:

 

Es ist schnurz, was der alte Hegel damals gedacht hat: Er kann uns heute nicht weiterhelfen; also müssen wir über alle gesellschafts-politischen Belange selber vor- und nachdenken.

 

Ein dem Menschen würdiges Einkommen, das die Grundkosten deckt und GrundRecht-gestützt ganz selbstverständlich und ohne jede Vorbedingung - allein auf Grund der Existenz des Menschen - monatlich angewiesen wird, ist noch nicht so ganz "Realität" geworden.

 

Das trifft auch auf meinen Einwand auf deine Äußerungen zu:  

 

Die Gesellschaft und ihre freie Entfaltung zu schützen, ist eine Aufgabe des Staates.

Die Gesetze formulieren die Grenzen des Handelns zu diesem Zweck. Menschen, die diese Grenzen verletzen, werden nötigenfalls mit Hilfe der Exekutive in Gewahrsam genommen. Auch im Gewahrsam sind die Menschenrechte und das Grundgesetz selbstverständlich in Kraft.

 

Es ist NICHT Aufgabe des Staates, Rache zu üben, zu strafen oder Buße zu verlangen.

All dieses verstößt gegen die Menschenwürde.

 

Aufgabe des Staates ist es jedoch, die beteiligten/betroffenen Menschen - wenn dies denn möglich scheint - zum Zweck der Heilungsmöglichkeiten zusammen zu bringen. Bei allen derartigen Bemühungen hat die Würde des Menschen Priorität.

 

Das Vermögen der sich in Gewahrsam befindlichen Menschen wird zum Wohle des Betroffenen treuhänderisch verwaltet. 

 

Das GrundEinkommen ist im Grundgesetz verankert.

 

Das (Grund-)Einkommen ist bedingungslos und ausnahmslos allen lebenden Menschen auf die dem Einkommensbezieher günstigste Weise pünktlich zu jedem Ersten des Monat zur freien Verfügung zu stellen.

 

Ein Aussetzen des GrundEinkommens ist also nach meiner vorausschauenden Ansicht grundgesetzwidrig und damit nichtig.

 

 

Ein schönes Wochenende

wünscht dir  Nirmalo J.Schröder  

 

 

 

>> Sehr geehrter Herr Schröder, <<

 

Sehr geehrter Herr Liebermann,

wie ich sehe, bevorzugen Sie die etwas distanziertere Anrede. O.k., dann werde ich mich mal etwas umstellen und den Schlips zurecht rücken. 😎

 

 

Lieber Sascha...,

 

danke für deine Ausführungen und überhaupt....

 

>> Danke für die Anerkennung. <<

 

Gerne. Über den NewsLetter bekomme ich ja Ihr Engagement mit...

 

Konkret zu deinem Aufsatz:

Grundeinkommen auch für Häftlinge? Vom 13. Sept. 2011:

 

Es ist schnurz, was der alte Hegel damals gedacht hat: Er kann uns heute nicht helfen; also müssen wir über alle gesellschafts-politischen Belange selber vor- und nachdenken. (wie es auch sein Kollege Kant zu Recht fordert!)

 

Sascha: "Meine Überlegungen stammen ja nicht von Hegel. Auf ihn habe ich nur hingewiesen, weil er auch schon darüber nachgedacht hat."

 

Sie beziehen sich aber auf sein Zitat und zeigen, daß Sie mit ihm (dem Zitat) konform gehen. (ich aber nicht) Ich antwortete Ihnen auch, um Ihnen zu signalisieren, daß wir mit unseren Überlegungen nicht in der Facette "GrundEinkommen gewünscht" steckenbleiben dürfen.

 

Wir bedienen uns der Intelligenz, mit unserem Ansinnen, die gesamte Gesellschaft an ihrem Reichtum teilhaben zu lassen. Sie (die Intelligenz) ist aber derart reich, daß wir mit ihrer Hilfe alle Sparten des Staatswesens ausleuchten können/dürfen/müssen.

 

Und das nicht aus der Perspektive des "kleinen Mannes" gegen "die da oben", sondern als Formgeber, Gestalter.

Es ist jetzt die Zeit für Umbrüche auf allen Ebenen.

 

Es werden Visionen gebraucht, Neue Ideen für eine gute Staats-Struktur für die gesamte freie Gesellschaft. Das bedingungslose Grund-Einkommen ist nur ein kleiner Teil davon.

 

Ein dem Menschen würdiges Einkommen, das die Grundkosten deckt und GrundRecht-gestützt ganz selbstverständlich und ohne jede Vorbedingung - allein auf Grund der Existenz des Menschen - monatlich angewiesen wird, ist noch nicht so ganz "Realität" geworden.

 

Sascha: "Unbestritten, wobei der Zweck der Existenzsicherung nicht in Frage steht heute, sondern seine Ausgestaltung."

 

Wenn wir es uns vorstellen können und es gewollt wird, ist die Ausgestaltung das geringste Problem.

 

Vorstellungsvermögen

ist wichtiger als Wissen. 

 

~ sagt Albert Einstein ~

 

Ergänzend: Zielorientiertes Vorstellungsvermögen - damit man weiß, in welche Richtung der Weg gehen soll.

 

Und die Ziele müssen formuliert werden.

 

Auf das "EndErgebnis" haben wir so gut wie keinen Einfluß, da spielt die Existenz mit ihren Würfeln auch noch mit.

 

Aber wir können wegweisende Modelle aufzeigen.

 

Drei Grund-Fragen sind zu beantworten:

 

  1. Sind wir (insgesamt) eine reiche oder eine arme Gesellschaft?

  2. Wie ändert sich das Verhältnis von menschlicher Arbeit zum Umsatz des Durchschnitts der GesamtWarenProduktion?

  3. Wollen wir (als Gesellschaft) die Verteilungsstruktur des Reichtums so laufen lassen - oder ändern wollen?

 

Alle anderen (Detail-)Fragen sind nahezu belanglos, solange diese 3 nicht öffentlich behandelt und beantwortet werden.

Es wird zwar viel gearbeitet,

aber immer weniger entlohnt.

 

Da kommt eine "heilige Kuh" - ein Tabu - in den Fokus: Die "Eigentums"-Frage:

 

Wem gehört der Reichtum,

den - zunehmend! - die Maschinen generieren?

 

Der Mensch verabschiedet sich mehr und mehr aus der "Arbeit".

 

Das trifft auch auf meinen Einwand auf deine Äußerungen zu: Die Gesellschaft und ihre freie Entfaltung zu schützen, ist eine der Aufgaben des Staates.

 

Sascha: "Das sehe ich genauso. Der Staat, also unser Gemeinwesen"

 

Nein, ich sehe die gesamte Gesellschaft als das Gemeinwesen und den Staat lediglich als Hilfskonstrukt für die möglichst reibungslose Funktion seiner Struktur zum Wohle des Gemeinwesens - ähnlich einer Hausverwaltung.

 

Eine Hausverwaltung ist auch nicht identisch mit der Gesamtheit der Hausbewohner. Sie hat - zum Wohle aller Bewohner - bestmöglich zu funktionieren; mehr nicht.

 

Sascha: "hat allerdings auch die Aufgabe, das Recht wieder herzustellen, wo es verletzt worden ist durch eine Tat"

 

Wie eine Hausverwaltung.

 

Die Gesetze formulieren die Grenzen des Handelns zu diesem Zweck.

 

Menschen, die diese Grenzen verletzen, werden nötigenfalls mit Hilfe der Exekutive in Gewahrsam genommen.

 

Auch im Gewahrsam sind die Menschenrechte und das Grund-Gesetz selbstverständlich in Kraft.

 

Sascha: "Auch das ist unbestritten."

Es gibt da noch ein kleines Mißverständnis:

So, wie für Sie das Grundeinkommen bereits Konturen hat, ohne daß es schon ("real") eingeführt wurde, so real sehe ich die Dinge, von denen ich spreche - bereits vor ihrer "materiellen" Existenz.   

Ich spreche von der Matrix, der Skizze, dem Hologramm der Dinge.

 

Es ist NICHT Aufgabe des Staates, Rache

zu üben, zu strafen oder Buße zu verlangen.

All dies verstößt gegen die Menschenwürde.

 

Sascha: "Davon habe ich auch nicht gesprochen, Strafe ist Anerkennung des Täters und keine Rache."

 

Strafe = Anerkennung?  

Ist das nicht Hohn? ?

 

Strafe ist Demütigung, sonst nix - egal was der alte Hegel dazu sagt!

 

Wenn Sie jemanden bestrafen wollen, nehmen Sie eine arrogante Position ein - die, wenn Sie mich fragen, niemandem zusteht.

 

So, wie JEDEM Menschen ein GrundEinkommen zusteht (seine Höhe im Verhältnis zum Reichtum des Landes, also zu den jeweiligen gesellschaftlichen Möglichkeiten), so steht JEDEM Menschen Achtung zu - unabhängig von vergangenen Handlungen.

  1. Willkür    - archaisch

  2. Rache       - war gegenüber der Willkür ein Fortschritt

  3. Strafe       - ist gegenüber der Rache ein Fortschritt

  4. Achtung  - ist der Schritt, der jetzt ansteht

 

  • Einerseits hat der Staat die Gesellschaft vor Gefahren zu schützen.   
  • Andererseits hat der Staat einen in seinem Gewahrsam befindlichen Menschen genau so achtungsvoll zu behandeln, wie jeden anderen Bürger der selben Gesellschaft!  

 

Aufgabe des Staates ist es jedoch, die beteiligten/betroffenen Menschen - wenn dies denn möglich scheint - zum Zweck der Heilungsmöglichkeiten zusammen zu bringen.

 

Bei allen derartigen Bemühungen

hat die Würde des Menschen Priorität.

 

Das Vermögen der sich in Gewahrsam befindlichen Menschen wird zu ihrem Wohle treuhänderisch verwaltet.

 

Sascha: "Meines Wissens verbleibt das Vermögen in den Händen der Häftlinge, denn es ist ihr Eigentum, es wird also nicht treuhänderisch verwaltet."

 

Das ist Matrix. 😊 Ich spreche von den Menschen, die über längere Zeit nicht freigelassen werden (können), ihr Geld/Vermögen aber vor Ort nicht in Gänze nutzen können/wollen. Das muß dann - im Wohlwollen zum gefangen gehaltenen Menschen - verwaltet werden.

 

Das GrundEinkommen ist im Grundgesetz verankert.

 

Sascha: "Wo denn?

 

Matrix 😎 Ich sehe es dort bereits!

Sascha: "Welchen Rechtscharakter es annehmen sollte und könnte, ist ja noch offen. Manches spricht dagegen, das Grundeinkommen als Grundrecht im Sinne der Artikel 1-20 GG zu formulieren, weil eine solche Rechtsstellung zur Selbstknebelung des Gemeinwesens für den Fall gelten kann, dass Zeiten heraufziehen, in denen ein Grundeinkommen durch das Gemeinwesen nicht bereitgestellt werden kann. Die Problemlage ist hier ähnlich wie bei der Schuldenbremse."

 

Das ist eine kleine Detailfrage. Eine differenzierte Ausformulierung dürfte doch wohl kein Problem sein.

 

Eine lohnausgeglichene "Beschäftigung" kann - zunehmend - nicht mehr garantiert werden; ein (den gesellschaftlichen Verhältnissen angepaßtes, also würdiges) Einkommen aber sehr wohl.

 

Das (Grund-) Einkommen ist bedingungslos und ausnahmslos allen lebenden Menschen auf die dem Einkommensbezieher günstigste Weise pünktlich zu jedem Ersten des Monat zur freien Verfügung zu stellen.

 

Ein Aussetzen des GrundEinkommens ist also - nach meiner vorausschauenden Ansicht - grundgesetzwidrig und damit nichtig.

 

Sascha: "Das ist ein Standpunkt und eine legitime Meinung, ein Argument kann ich darin nicht erkennen."

Ein Argument?  

 

Gibt es für Liebe ein Argument?

Gibt es für Empathie ein Argument?

Gibt es für Menschenrecht ein Argument?

Gibt es für Menschenwürde ein Argument?

 

Warum sollte die Frau dem Mann gleichgestellt sein? Mit welchem Argument? Bis vor Kurzem war sie ihm gegenüber "weisungsgebunden"...

 

Warum sollte sie gleichen Lohn für gleiche Leistung bekommen?

 

Warum sollte es ein leistungslos ausgezahltes GrundEinkommen geben?

 

Es gibt Dinge, die sind - mit oder ohne Argument -

für mich selbstverständlich, für andere möglicherweise nicht.

 

Sascha: "Genau diese Frage aber wollte ich mit meinem Blogbeitrag aufwerfen."

 

Sie dürfen unseren Dialog gerne in den Blog schieben. 

 

 

Lieben Gruß

und Gute Nacht.  

Nirmalo J.Schröder

 

 

...der seinen Schlips jetzt wieder etwas lockert!